Das letzte Wegstück nach Jiagulong ist eine Betonstraße, die in weiten Schleifen dahinführt. Noch bevor wir den Ort erreichen lotst Brenda uns ab vom Weg und wir sehen schon aus weiter Entfernung die riesigen Gestalten von etlichen Geiern. Wir kommen näher und sehen den leblosen Körper eines kleinen Pferds am Boden liegen. Die Geier scheuen vor uns zurück und gehen auf Distanz. Einige umkreisen den Fressplatz weitläufig und betrachten uns argwöhnisch. Aber wir haben schon gegessen und fahren weiter. Oberhalb von Jiagulong finden wir unseren Übernachtungsplatz an einem Plateau auf einem Hügel und könne die Blicke umherstreifen lassen. Vom Kloster her ertönt meditativer Gesang, der auf uns aufgrund seiner Wiederholungen und Melodik beruhigend und ergreifend wirkt. Johanna holt ihr 1000 mm Objektiv hervor und holt sich einige Anblicke in der Ferne ganz nah heran.
Wir kochen noch gemeinsam und versuchen die nun langsam aufziehende Kälte möglichst nicht an uns heranzulassen. Irgendwann geht es dann aber nicht anders und alle verkriechen sich in ihre Betten, denn der Wind zieht zusätzlich tüchtig auf. Das Bett in Mushi ist schnell hergerichtet und die Standheizung läuft. Johanna macht es drinnen schonmal gemütlich, ich räume noch ein wenig auf und stelle fest, dass ich noch nicht bereit für die Waagerechte bin. Ich mache mich also, eingepackt in Norweger und langer Unnerbüx, nochmal allein und zu Fuß auf in Richtung Ort, immer den noch ertönenden Mantras hinterher. Es ist schon sehr dunkel und der Ort grundsätzlich unbeleuchtet. Nur ein paar erleuchtete Fenster leiten den Weg entlang der Klostermauer, auf die ich schnell stoße. Nach etwa 200 m sehe ich eine Öffnung in der Mauer, durch die ich durchschlüpfen kann. Nun befinde ich mich zwischen der Mauer und einer Reihe von Mönchswohnungen. Auf dem etwa 40 m breiten Streifen gehe ich in Richtung Ortsmitte. Hier ist nichts und niemand außer mir, aber ich höre Hunde in der Entfernung bellen. Nur zur Sicherheit sammle ich ein Stück PVC-Schlauch auf, das ich auf dem Boden finde und mit dem ich mich vielleicht gegen einen Streuner verteidigen könnte, der mich möglicherweise nicht willkommen heißt. Am Ende des Korridors schlängle ich mich zwischen ein paar Häusern hindurch und finde mich direkt an der Quelle des Gesangs wieder. Aus der Ferne sieht der Turm vor mir wie ein kunstvoller Taubenverschlag aus, doch nun sehe ich die Flüstertüten, die in die Wände des runden Turms eingelassen sind. Der Turm steht auf einem Hügelkamm inmitten der Ortschaft, direkt darunter steht ein Pavillon, in den ich mich setze und von wo ich die umherliegenden Straßen und Gebäude betrachte. Nach einer Weile mache ich mich wieder auf den Rückweg und werde, als ich beim warmen Auto ankomme, gut 6 km hinter mich gebracht haben – genug, um mich müde zu Johanna ins Bett fallen zu lassen.
Morgens berichtet uns Clement, er habe ein Rudel Wölfe in der Morgendämmerung gesehen. Er hat sogar versucht ein Foto zu schießen und tatsächlich lässt sich darauf ein Wolf erkennen. Fast ein wenig gruselig. Nach einem kurzen Frühstück machen wir uns auf und erkennen, warum die Wölfe in der Gegend waren. Etwas Starkes hat den Pferdekadaver, an dem tags zuvor die Geier zugange waren, gut 50 m fortbewegt. Es ist mittlerweile nicht mehr viel davon übrig. Wir parken die Fahrzeuge auf einem Platz, auf welchem Gebetstafeln gelagert werden. Diese Steintafeln sind der Baustoff für den uralten Stupa, der das Zentrum des Heiligtums bildet und welchen die Tibeter unter fortlaufender Wiederholung ihrer Mantras im Uhrzeigersinn umkreisen. Die Gebetsmühlen, die sie dabei anschieben, sind hier gute 2,50 m hoch. Manch ein alter Mann nutzt hier zum Erreichen der häufig recht hoch sitzenden Griffe seinen Gehstock. Das Publikum ist vom Alter her stark durchmischt. Es laufen Menschen, die 100 Jahre und älter sein könnten, sowie junge Mütter mit ihren Kindern, die gerade so ein paar Schritte schaffen. Wir reihen uns in den Trott ein und lassen uns vom Rattern der großen wie auch der kleinen Gebetsmühlen in den Händen und dem Gemurmel der Gläubigen verzaubern. Uns lächeln so viele Gesichter entgegen.
Wer eine Pause brauchte, hat sich einfach auf die Stufe der umherlaufenden Mauer gesetzt und hin und wieder winkt uns jemand zum Zeichen sich dazuzusetzen. Wir erleben das Ganze als einen absolut reinen Moment, in dem wir ohne jegliches Zeitgefühl uns dem Treiben hingeben. Zwischenzeitlich entsteht auf halber Höhe der Treppe, die im Osten der Stupa aus der Senke herausführt, ein etwas weltlicherer Trubel, denn einige Nonnen haben begonnen von ihnen gefertigten Teppiche feilzubieten. Drumherum kommen wir mit einigen Besuchern ins Gespräch und sind ganz hingerissen von der Offenherzigkeit. Johanna lässt sich von einem etwa 4-jährigen Mädchen in die Arme schließen und einen dicken Kuss auf die Wange geben -fast schon kitschig, aber es bleibt kein Zweifel an der Geste. Diese liebevolle Stimmung nimmt uns den Atem und wir sind emotional derart angegriffen, dass wir wie erstarrt oberhalb der Szenerie verweilen und unsere Blicke nicht loslösen können. Johanna hat mich mit ihren auch meinen Tränen nahe gebracht…
Als wir uns losgelöst haben schlendern wir still durch die Gassen der Wohnhäuser der Nonnen. Die Mönche sind seit kurzer Zeit in dem neuen Kloster untergebracht worden, das ein paar hundert Meter entfernt knapp außerhalb des Orts liegt. Auch für die Nonnen befindet sich ein neues Heim im Bau, sodass die kleinen Häuschen, die von außen betrachtet charmant und heimelig dicht an dicht stehen, in Kürze verwaisen werden. Wir sind glücklich, dass wir diese dörfliche Idylle noch genießen dürfen, aber wir bekommen auch erzählt, dass die Nonnen sich aufgrund der widrigen Umstände der Wohnungen bereits auf das kommende Wohnheim freuen.
Am Ende unserer Runde lassen wir uns einen letzten Blick auf die Pilger nicht nehmen, um uns dieses Bild in unsere Gedächtnisse einzubrennen.
Weiter geht’s nach Westen. Auf uns wartet ein langer Ritt nach Litang. Dieser führt durch mehr und bergige Landschaften. Wir fahren über einen Pass auf dessen höchsten Punkt eine Felsinschrift einen 4.718 m hohen Punkt markiert. Ein toller Punkt für einen Freudentanz, wo wir doch tatsächlich etwa 250 m niedriger sind. Keine Ahnung, wer solch falsche Hinweise in Stein gehauen hat.
Als wir Litang erreichen ist es bereits dunkel. Die Franzosen bleiben auf der Strecke und wir kehren in ein verdammt gemütlichem Hostel ein. Es gibt einen Hofparkplatz und somit einen guten Platz für Mushi und Rafaels Moped. Wir treffen im Hostel noch auf Rinck, einen weiteren Reisenden, der wie Brenda aus Chengdu kommt. Er erzählt uns, dass er die Höhe nicht wirklich gut verträgt (Litang liegt auf über 4.000 m!) und wir beschließen ihn mit uns mitzunehmen, um gemeinsam im Ort etwas zu essen. Vielleicht hilft ihm einfach ein wenig Abwechslung. Rinck tut es offensichtlich gut ein wenig zu plaudern und nach nur kurzer Zeit ist ihm wirklich kein Unwohlsein mehr anzumerken. Nach dem Essen holen wir noch ein paar Snacks in einem kleinen Ladengeschäft ein und begeben uns wieder zum Hostel. Zusammen mit Rinck kloppen wir zu fünft – wie könnte es anders sein – den ganzen Abend Yaniv. Nach anfänglichen Schwierigkeiten schlägt Rinck sich später ganz gut und schließlich rutscht er nur knapp am Sieg vorbei. Wir haben echt viel Spaß und freuen uns wieder drüber, wie einfach das geht. Die Nacht ist kalt und das Hostel schlecht isoliert, jedoch hat jedes Bett eine elektrisch beheizbare Unterlage. Etwas schräg, aber wir probieren es aus und schlafen nach anfänglichen Bedenken bzgl. möglicher Kabelbrände dann doch gut ein.
Am nächsten Morgen mache ich mich früh auf zu einem Spaziergang durch die Stadt – die anderen drei sind mal wieder ein wenig zu gemütlich. Egal, dann stratz ich halt im eigenen Tempo, einmal durch die ganze Stadt und zurück. Die meisten Läden sind noch gar nicht geöffnet und die gesuchte Bäckerei konnte ich unter den wenigen geöffneten nicht ausmachen. Dennoch, die kleine Stadt ist sehr charmant und die frische Morgenluft tut sehr gut. Auf dem Rückweg kommt mir unübersehbar die französische Ente entgegen. Diesmal jedoch vollkommen mit tibetischen Gebetsflaggen geschmückt, die sie offenbar einem Stupa entwendet haben. Ich winke, doch sie sehen mich nicht. Ich schreibe ihnen eine Nachricht, um ihnen die Adresse des Hostels mitzuteilen. Dann sehe ich sie wenig später an mir vorbei in die richtige Richtung düsen. Fünf Minuten später fahren sie mir wieder entgegen. Ich winke und rufe, sie nehmen mich nicht wahr. Ich komme mir etwas bescheuert vor, denn unter den Passanten bin ich – auch ohne mich zum Kasper zu machen – eh schon Exot: 1-2 Köpfe größer, hellgesichtig, rotbärtig und in einen fetten Norwegerpulli gehüllt. Ich komme am Hostel an und finde Brenda etwas aufgeregt. Ich beruhige sie, als ich sage, dass die Brüder bereits in der Nähe seien. Nach weiteren 10 Minuten fahren sie „entlich“ vor und gemeinsam machen wir uns auf zum Kloster von Litang. Wir gehen zu Fuß und machen genau das, was uns allen gleichermaßen gefällt: einfach durch die Gassen schlendern und uns auf sämtliche Momente einzulassen. Max und Clement haben sichtlich Spaß wieder witzige Details zu entdecken und wir treffen tatsächlich noch auf eine Art Bäckerei, die Fettgebäck verkauft. Wir schlagen zu und gehen munter kauend weiter bergan, die herrliche Morgensonne im Nacken. Die Klosteranlage ist riesig und eröffnet sich zuerst mit drei sehr großen Tempeln, deren kunstvolle Ausstattung uns begeistert. Der Vorplatz mit seinem riesigen Baum wirkt beruhigend und wir verstreuen uns ein wenig, betrachten neben den Tempeln eine Lektion für ein paar junge Mönche, den Bauhof der Anlage und das wenige Treiben. Als wir weiterschlendern werden wir auf ein kleines Nebengebäude aufmerksam, in das wir kurzerhand hineinschauen und die Großküche entdecken. Der Speisemeister erzählt uns, wie sie hier in ihren Kesseln Mahlzeiten für bis zu 3.000 Menschen zubereiten. Es ist wirklich beeindruckend, denn die Bottiche und Kessel werden mit Holz befeuert, doch der raffinierte Aufbau lässt keine Zweifel, dass alles seinen Zweck erfüllt.
Weiter oberhalb gelangen wir zu einer Freitreppe, die offensichtlich zum obersten Bereich der Klosteranlage führt. Von unten erkennen wir schon die vielen Gebetsfahnen und viele Pilger. Als wir das Plateau erreichen finden wir uns inmitten hunderter Pilger wieder, die draußen in Gruppen beieinandersitzen und essen. Die Luft vibriert von den vielen Gesprächen und dem hungrigen Treiben, der Blick von hier oben ist unglaublich schön. Wir begeben uns ins Innere der Klosteranlage, wo ein großer Lichthof Platz für noch etliche hundert weitere Pilger gibt. Es ist sehr lebhaft und kein Mensch stört sich an uns. Wir genießen die gute Stimmung und lassen uns hinreißen von den schönen Gesichtern und dem bunten Gewusel. Wir scheinen Glück zu haben, denn so eine große Speisung habe auch Brenda noch nicht erlebt. Für Johanna wieder ein unglaublicher Glücksfall, kann sie hier doch wieder ihrer Vorliebe für Fotografie insbesondere alter Menschen Gesichter nachgehen. Hier braucht es keiner Worte, jeder von uns genießt stumm diesen ganz besonderen Augenblick.
Unten im Ort treffen wir wieder auf Max, der für sich selbst unterwegs war und die Ruhe gesucht hat. Zusammen finden wir ein kleines und gutes Restaurant und gehen später gesättigt weiter durch den Ort, um uns die Geburtsstätte des siebten Dalai-Lama, Kelzang Gyatso, zu betrachten und das umherliegende historische Stadtviertel. Danach geht’s wieder zurück zu den Fahrzeugen. Heute bringt Brenda uns bis kurz vor die Stadt, um danach selbst wieder für ein wenig Arbeit wieder ins Hostel zurückzukehren. Sie wird dort wieder die Nacht verbringen, während wir draußen schlafen wollen. Unser heutiger Zeltplatz befindet sich in der Nähe eines Himmelsbestattungsplatzes. Nachdem wir uns einen abgeschiedenen Platz gesucht und durch dicken Morast hindurch erarbeitet haben, bringt Rafael Brenda wieder in die Stadt, obwohl man ihr anmerkt, dass sie eigentlich keinen Bock auf ihren Abend hat. Uns ist hier etwas mulmig zumute, denn der Brauch, der hier normalerweise stattfindet, scheint uns fremd und intim zu sein. Daher fiel unsere Wahl auch auf diesen entfernten Platz. Rafael und ich sind allerdings zuvor noch zur Stätte selbst gegangen, um zu begreifen, was einen hier bei der Zeremonie erwarten würde. Wir finden steinerne Haublöcke und Werkzeug zum Zerlegen der Toten wie Äxte, Hammer und Messer, die nach jeder Bestattung am Ort verbleiben. Rafaels Blick fällt sogar auf ein künstliches Gebiss. Menschliche Überreste gibt es keine. Nachdem die Körper der Toten den Geiern überlassen wurden, werden die verbliebenen Reste auf einem Sammelplatz verbrannt.
Denkt bitte nicht, dass wir pietätlos hier als Schaulustige auftreten wollen. Der Schlafplatz ist der einzig geeignete, der sich in unmittelbarer Nähe zu Litang befindet und wir haben uns versichern lassen, dass wir dort niemanden stören werden. Eine Bestattung zu erleben ist ohnehin nicht selbstverständlich. Diese finden in den Morgenstunden statt und es muss – selbstverständlich – auch erstmal eine Bestattung nötig sein. Wir halten es so, dass wir morgens alle für uns entscheiden können, ob man es sich ansehen will oder nicht und so soll jeder allein sehen, ob er/sie zum Bestattungsplatz laufen möchte.
Später am Abend macht Rafael uns allen noch eine Freude, indem er Motorradstunden anbietet. Jeder von uns darf es einmal probieren und mit seinem Motorrad stellt Rafael sich nicht zimperlich an. Er gibt kurz Instruktionen und dann kann jeder selbst sehen, wieviel man sich selbst zutraut. Es macht herrlichen Spaß über die seichten Hügel zu düsen! Max hat einigen Respekt vor der Maschine, macht aber dennoch mehrfach Versuche und man kann ihm den Adrenalinrausch mächtig ansehen. Clement stellt sich richtig gut an und knattert auch im Stehen die Hügel hinab. Johanna ist erst etwas zurückhaltend, macht dann aber doch den Versuch und düst den Weg hin und her. Wenn ich doch auch immer so meine Vorurteile gegen Motoradfahrer auf deutschen Straßen habe – so im Gelände zu fahren ist schon etwas anderes! Völlig frei die Hügelflanken raufpreschen zu können ist einfach irre. Heute hat mich ohne Zweifel ein kleiner Virus erwischt (und nein, kein Corona – den gibt es nach dem eigentlichen heutigen Wissensstand noch gar nicht!).
Abends kochen wir uns Fertignudelsuppen, die Brenda uns gekauft hat. Darauf abgebildet ist ein feuerspuckender Schneemann. Uns ist ihr diabolisches Grinsen dabei nicht entgangen. Johanna scheidet leider aus, denn ihr geht es mit einem Mal gar nicht gut. Sie fürchtet, die Höhe macht ihr zu schaffen und begibt sich mit Übelkeit und Kopfschmerzen früh zu Bett. Wir sitzen beisammen und heulen wie die Schlosshunde, als wir uns die Suppe reinschaufeln. Uns laufen die Nasen und die Tränen aus den Augen – keiner kann mehr vernünftig reden, alle röcheln. Dazu kommt, dass wir uns vor Lachen fast noch einnässen. Tja Brenda, du hast uns zwar mächtig an den Eiern gekriegt, aber selbst miterleben durftest du es dann leider nicht. Voller Angst vor dem nächsten Stuhlgang kriechen wir in die Betten und vermummen uns vor der nächtlichen Kälte.
Am nächsten Morgen sammeln wir Brenda ein und machen uns auf den Weg südwärts. Heute steht das höchste Stück Wegstrecke auf unserer China-Reise und für jeden von uns jemals bevor. Diesmal sollen wir tatsächlich 4.708 m erreichen! Auf dem Weg dorthin kommen wir an zugefrorenen Seen mit kristallklarem Wasser vorbei. Wir halten, um uns darüber ausgiebig zu freuen, wobei Rafael seinen Motor nicht abstellen mag. Er befürchtet, dass der knappe Sauerstoff kaum noch ausreichen wird, um seinen Vergaser zu befriedigen. Tatsächlich tuckert die Maschine bereits etwas schwach auf der Brust.
Auf dem weiteren Weg begegnen wir zwei Radfahrern, die sich definitiv auch an diesem Pass zu schaffen machen – Teufelskerle! Die Straße ist schlecht und steil, dazu brennt die Sonne heute besonders stark vom Himmel. Zum Glück ist es dabei kühl. Kurz vor dem höchsten Pass warten wir auf die beiden Brüder, um es mit allen drei Fahrzeugen gemeinsam zu schaffen. Mit knapp 15 km/h und voller Euphorie fahren wir auf dem Gipfel ein, springen aus den Autos und freuen uns des Lebens! Ein herrliches Gefühl und eine unfassbare Leistung der Maschinen! Wir sind alle einfach stolz. Dann fällt uns der Gipfel neben dem Pass auf. Oben ist eine Antenne aufgestellt, zu deren Wartungszweck eine kleine, sehr steile Piste bergauf führt. Rafael will es auf jeden Fall probieren und auch wir sind heiß! Wir packen Max, Clement und Brenda ein, legen die niedrige Untersetzung ein und kurz darauf fährt Mushi uns den Berg hinauf, als wäre es eine Spazierfahrt. Vor dem letzten Stück müssen wir die Kuppe nochmal umfahren und gehen dann die letzte Passage an. Leute – Mushi hat es bis fast ganz hinaufgeschafft! Es ist nur daran gescheitert, dass ganz oben kein Platz zum Wenden gewesen wäre. Bei 4.824 m war Schluss! Mir klapperten die Knie und ich war schier out of order vor Adrenalin und Glück. Was für ein Erlebnis! Rafael setzt auch nochmal an, legt sich bei einem steilen Stück auf die Seite, als Mushi ihm im Weg stand. Doch der alte Eisenhund steht wieder auf, steht voll unter Strom, nimmt Anlauf und rauscht mit Schwung bis an die Spitze, wirft sich ab vom Motorrad und jubelt, dass es nur so eine Freude ist! Wir haben eine richtige Party, alle zusammen, denn auch die Ente hat unglaubliches geleistet! Wer hätte das gedacht, nach all den Problemen und nun bis auf 4.700 m Höhe?! Wow!
Nachdem wir uns auch wieder bergabgekämpft haben (finde ich definitiv grässlicher als bergauf) fahren wir einem lang ersehnten Ziel zu, den Hot Springs von Ranwu. Schon lange träumen wir von einem Bad in heißen Quellen und Brenda hat uns diesen Ort gleich in Aussicht gestellt. Wir erreichen das abgelegene Dorf über sehr enge Straßen und kommen an bei einer Art Badeanstalt, die Brenda für uns ausersehen hat. Es gibt zwar auch ein paar frei zugängliche Pools im Uferbereich des vorbeirauschenden Flusses, doch Brenda hat uns schon angekündigt und irgendwie wirkt die Anlage auch sehr nett und gepflegt. Als wir hören, dass wir für schlappe 10 Yuan (1,30€) pro Person den zum Fluss hin offenen und überdachten Hot Tub nutzen können, bleibt für uns eh keine Frage mehr offen. Nur Clement und Max haben sich das Ganze mehr natürlicher vorgestellt, so wie man beispielsweise die Hot Pots aus Island kennt. Für uns okay, die beiden haben dann ja noch die Ausweichmöglichkeit auf ein Bad beim Fluss, wenn sie sich das auch mit vielen Locals teilen müssen – hat ja aber auch seinen Reiz. Schade nur um den Karton Bier, den Johanna, Rafael und ich nun für uns allein haben in dem rustikalen, aber komfortablen Bad. Um ehrlich zu sein… das Bier hat sich dann doch mehr nur zwischen Rafael und mir aufgeteilt… Aber wir haben ordentlich Grundlage, denn zuvor haben wir alle noch gut gekocht und freundlicherweise die Küche des „Bademeisters“ verwenden dürfen. Ein fabelhafter Abend!
Am nächsten Tag bemerken wir nach dem Aufstehen, dass die Leckage an Mushi’s Kurbelwellendichtung auch nicht weniger wird. Uns ist es etwas unangenehm, die Ölflecken auf dem betonierten Vorplatz zu hinterlassen und so reinigen wir alles mit Benzin. Danach geht es weiter durch wunderschöne Schluchten mit dem Ziel Shangri-La. Eine dieser Schluchten ist so malerisch, dass wir den Anblick nur mit einer längeren Pause erfassen können. Ein paar Wägen, die hupend durch die engen Kurven entlang der Felswände fahren, lassen uns immer wieder nervös auf die Abhänge schauen, dass ja kein Steinschlag auf uns herabregnet. Die Akustik hier ist phänomenal und auch wieder versuchen uns an den verrückten Echos. Etwas weiter voran gibt es wieder gutes Essen im Imbiss am Straßenrand und viel Blödeleien. Gerade heute kann uns eigentlich nichts mehr die Laune vermiesen. In Shangri-La angekommen fahren wir gleich weiter und nach Westen hin aus dem Ort hinaus, um einen Schlafplatz im Freien zu suchen. Wir finden einen schönen Platz im Grünen und Brenda eine Baustelle in der Nähe, von wo sie plötzlich mit einem Haufen Restholz auftaucht. Die Gute hat Bock auf ein Feuer – soll sie bekommen! Wir holen also noch mehr „Restholz“ von der Baustelle und machen ein Feuer, dass uns die Augen nur so austrocknen. Dazu gibt es, neben dem Abendessen, eingelegte Peperoni, die uns Rafael in Erinnerung an die Türkei schwelgend als Snack anbietet. Die Dinger haben es echt in sich und ich kann selbst kaum glauben, wieviel Scharfes Johanna und ich bereits auf dieser Reise zu uns genommen haben. Es scheint also auch „zum Ende der Reise“ immer wieder zu Racheninfernos zu kommen. Ich bekomme wieder meinen hysterischen Schluckauf und heute Abend sollen wir Brenda das erste und einzige Mal vom Essen heulen sehen… Es ist der schöne Abend eines sehr schönen Tages.
Morgens fährt uns die Kälte so richtig in die Glieder noch bevor wir die Augen geöffnet haben. Der erste Blick nach draußen lässt uns noch mehr bibbern, denn alles ist komplett überfroren. Selbst das Wasser unserer Trinkflaschen ist gefroren. Warum mussten Johanna und ich nochmal gerade diese Nacht im Dachzelt schlafen?! Alle raffen sich möglichst schnell auf, um durch etwas Bewegung klarzukommen. Wir warten auch die Sonne ab, die sich mühsam durch den Morgennebel kämpft, um die Zelte zu trocknen, bevor sie wieder im Gepäck verschwinden. Noch recht früh fahren wir nach Shangri-La ein und holen uns zum Frühstück beim Bäcker wieder ein paar Snacks, um uns zu Fuß durch den Ort zur größten Gebetsmühle der Welt aufzumachen. Keine Frage, dass wir hier nicht die einzigen Besucher sein würden. Neben uns ist hier eine große chinesische Touristengruppe, die es recht schwer werden lässt zu sagen, was hier denn nun die eigentliche Attraktion ist – die beeindruckende 21 m hohe Gebetsmühle, die sich mit vereinten Kräften tatsächlich drehen lässt, oder die Truppe aus dutzenden Chinesen, die in ihre einheitlichen roten Mäntel, die von der Reisegesellschaft ausgeteilt worden sind, derart hilflos wirkt, dass es nur noch komisch ist?! Ernsthaft, mein Bild von Chinesen als einzeln hilflose Teile eines Gruppengefüges verstärkt sich jedes Mal, wenn wir auf Gruppen von Han-Chinesen treffen. Da sind welche, die nicht wissen, wie man effektiv Kraft aufbringt, um durch Ziehen oder Schieben die Mühle in Gang zu bringen, dort sind welche, die nach dem Aufstieg der 200-stufigen Treppe der Überzeugung sind, sich erstmal mit Sauerstoff aus der Einweg-Sprühdose versorgen zu müssen. Wir versuchen nun einfach die Menschen auszublenden und den Ausblick von hier über die Stadt zu genießen.
Wir entscheiden uns vor der Weiterfahrt auf jeden Fall noch im Ort zu Mittag zu essen, um für den Rest des Tages genügend Energie zu haben. Brenda ist Feuer und Flamme für den Vorschlag und zieht uns regelrecht zu einem ganz bestimmten Restaurant. Sie ist super hibbelig und freut sich so sehr über den bevorstehenden Besuch eines ihrer Lieblingsrestaurants, dass sie uns auf jeden Fall einladen will. Nun, wir sind gespannt, weil wir doch bisher von keinem einzigen Restaurant in China enttäuscht worden sind. Im Restaurant suchen wir Platz an einem der etwa 6 stählernen, kreisrunden Tische. In der Mitte des Tisches ist ein größeres Loch mit einem eingelassenen Gasbrenner. Brenda bestellt und kurze Zeit später bekommen wir einen wirklich großen Wok serviert, der in das Loch eingelassen wird. Zudem wird die Flamme entzündet und das Essen zum Brutzeln gebracht. Auch der Tisch erwärmt sich und uns wird ganz wohlig, insbesondere nach dem frostigen Morgen. Und Brenda hat einfach ein Händchen für gutes Essen – es schmeckt hervorragend! Was gibt es: Lotus in Scheiben, leckere Schoten, allerhand weiteres Köstliches Gemüse, Shrimps und alles in einem siedenden Ölbad – herrlich! Dazu gibt’s – natürlich – Reis.
Satt und zufrieden machen wir uns auf nach Baishuitai, den den „White-Water Terraces“, ein natürliches Gebilde gleich dem türkischen Pamukkale. Über die vergangenen 200.000 – 300.000 Jahren hat sich aus dem Wasser einer hochliegenden Quelle Calciumkarbonat abgelagert und über viele Stufen weiße Bassins gebildet, in denen das grünblaue Wasser aufgefangen wird. Dieser Ort stellt das Heilige Land des Volks der Dongba dar, an welchem immer noch traditionelle Riten abgehalten werden. Menschen kommen her, um für ihre Fruchtbarkeit Opfergaben an verstreut liegenden Altären zu verbrennen. Es ist ein beliebter Ort für Fotos und ein Han Hochzeitspaar lässt sich mit reichlich Pomp ablichten, nicht ohne dabei fast den kompletten Raum zu beanspruchen. Von sowas lassen wir uns nicht beeindrucken und machen unseren Weg hinauf zu Quelle. Auch hier hat es so einigen Einfluss der „Betreiber“ gegeben. Die wunderschöne von Bäumen eingefasste Quelle ist kürzlich in den Hintergrund gedrängt worden und ein verspielt künstlerisches Wasserbecken soll nun dem Besucher den mystischen Ursprung des Wassers suggerieren. Schade, dass sowas nach über 200.000 Jahren sein musste.
Heute Abend finden wir einen abgelegenen Schlafplatz entlang einer kleinen Bergstraße. Direkt daneben befindet sich ein alter Friedhof, der Brenda total aus dem Konzept bringt. Sie hat so richtig Bammel vor „Zombies“ (allerdings chinesische Zombies, die viel gruseliger seien, als die uns bekannten Hollywood-Zombies!) und wir brauchen ein bisschen, um sie von dem schönen Flecken Erde zu überzeugen. Abends sitzen Brenda, Johanna, Rafael und ich zusammen im Bus und kloppen mal wieder eine Runde Karten. Heute geht es allerdings um etwas: Johanna und Rafael spielen darum, sich einen der zwei Glücksbringer, die wir in Litang noch vom Hostelbetreiber geschenkt bekommen haben, aussuchen zu dürfen. Brenda und ich machen aus, dass der Verlierer unter uns beiden etwas essen muss, was der andere bestimmt. Mein Plan: Brenda soll Brot mit Käse essen, was wir beides in Kunming finden werden und wovor sie sich unglaublich ekelt. Dazu soll es nicht kommen: Brenda liegt am Ende vor mir und ich bin mir sicher, dass sie etwas deutlich Ekligeres für mich finden wird… Übrigens: auf der anderen Seite hat Johanna ganz knapp und gewieft das Rennen gemacht! Von heute an hängt an unserem Rückspiegel ein sehr schöner, hölzerner, tibetischer Talisman. Saustark!
Bei bestem Wetter und ohne nachts von Zombies überfallen worden zu sein, geht unser Weg weiter zur sogenannten „Tiger Leaping Gorge“, der „Tigersprungschlucht“. Die Zufahrt ist auch hier zu bezahlen, dafür finden wir einen kostenlosen Platz zum Zelten auf dem Parkplatz eines Hostels, zu dessen Betreiber Brenda einen guten Draht hat. Durch die Schlucht weht ein kühler, klarer Wind und die Sonne strahlt dazu vom Himmel. Wir bauen die Zelte auf und freuen uns schon auf einen ausgedehnten Spaziergang. Der Zugang zur Schlucht erfolgt über einen sehr schmalen Fußweg, der sich im Hang steil hinabwindet. Wir gehen windgeschützt und es wird nicht nur aufgrund der Bewegung warm. Als wir unten ankommen, sehen wir den Namensursprung der Schlucht. Über im Flussbett liegende Felsen schießen die immensen Wassermassen des Flusses dermaßen hinweg, dass, mit etwas Fantasie, ein elegant springender Tiger in der großen Welle zu erkennen ist. Es ist ein gewaltiges Getöse, aber ein dennoch sehr schöner und beruhigender Ort. Wir springen nochmal ins kühle Nass bevor es weitergeht.
Der Weg nach oben ist nochmal steiler als der Hinweg. Ein Wegstück führt über eine wackelige „Himmelsleiter“, die nahezu im Überhang über gut 80 m nach oben führt – ohne jegliche Sicherung. Brenda ist für so etwas nicht zu haben und nimmt einen kleinen, etwas längeren Pfad nach oben. Auch danach machen wir mit jedem Wegstück unglaublich viele Höhenmeter. Die Nachmittagssonne knallt erbarmungslos auf unsere Steilwand hinab und wir brauchen einige Pausen. Unterwegs finden wir eine Sänfte, um unseren entkräfteten Guide bergauf zu tragen, jedenfalls für ein paar Meter. Danach ist Brenda wieder auf ihre eigene Körperkraft gestellt. Als wir es geschafft haben, können wir Brenda fast abschreiben. Sie ist zwar die Jüngste von uns, aber das Großstadtleben und das Rauchen begrenzen ihre Kraftreserven merklich. Sie ist an Theatralik nicht zu übertreffen und bringt uns daher dennoch zum Lachen.
Hier oben kriegen wir nun mit, dass der Wind extrem zugenommen hat. Wir sehen zu, dass wir möglichst schnell wieder zurück zu den Zelten kommen und sind erleichtert, als wir diese erreichen: die beiden Brüder, die die Himmelsleiter nicht mit aufsteigen wollten und den Hinweg auch für die Rücktour nahmen, waren zum Glück viel früher bei den Zelten als wir und haben diese gegen den Wind gesichert. Ihr eigenes Zelt mussten sie allerdings schon da gute 20 m weiter aus einem Busch kramen – ups!
Heute Abend steht noch ein etwas besonderer Punkt auf unserem Plan. Während des Abendessens machen wir die Vorbesprechung unseres Telefonats mit Brendas Chef. Heute wollen wir ihm die Tragweite der mangelhaften Leistung unseres ersten Guides Jimmy klarmachen. Wir haben einige Aspekte niedergeschrieben, dazu ebenfalls, was wir uns für Kompensation zur Wiedergutmachung vorstellen. Da wir nicht im Essensaal des Hostels telefonieren wollen und alle anderen Orte extrem zugig und daher laut sind, bietet Brenda uns ihr gemietetes Zimmer an. Es wird ein einstündiges Gespräch, in welchem Brendas Chef sich unsere Ausführungen anhört, sich jedoch noch nicht auf eine Lösung einigen will und sich ein wenig Bedenkzeit herausnimmt. Er beteuert jedenfalls seinen Willen zur Entschuldigung und versichert, dass dies noch nie vorgekommen sei und man eine Lösung finden werde. Wir bleiben also gespannt.
Die nächste Station soll Shaxizhen sein, eine etwas abgelegenere Kleinstadt, in der Brenda selbst noch nie war, aber Gutes gehört hat. Unterwegs wechseln Brenda und Max die Plätze, sodass nun Max bei uns im Bus mitfährt. Brenda und Clement fahren heute noch einen Abstecher nach Lijiang, um dort Reifen für den 2CV zu holen, die Brenda dort bestellt hat. Wir haben heute das Glück, am Wegesrand eine kleine Pommesbude zu entdecken, in der wir uns die ersten Pommes seit Monaten gönnen, um kartoffelgestärkt weiterzurollen. In Shaxizhen drehen wir eine Runde durch den Ort und müssen feststellen, dass hier bereits alles im festen Griff des Tourismus ist. Trotzdem ist alles sehr beschaulich und wir genießen, dass wir zur Tageszeit die Möglichkeit für den Bummel haben. Auf der Karte gucken wir einen Schlafplatz aus und wollen so später am Nachmittag die Stadt verlassen. Das Navi zeigt sich extrem abenteuerlich und schickt uns durch ein altes Wohnviertel, durch das Mushi nur mit sehr viel Fingerspitzengefühl durchpasst: die Gassen sind so schmal wie der Wagen und dazu dermaßen verwinkelt, dass die Karosse mehrfach fast mit Häuserecken kuscheln muss. Auch die wilde Verkabelung muss zur Passage mit einem Stock angehoben werden. Es braucht dann noch ein wenig, ehe wir einen passablen Weg zum Ziel finden und nach ein wenig weiterem Auskundschaften findet Rafael einen sehr abgelegenen und wunderschönen Stellplatz am Ende eines Tunneltals. Wir sammeln wieder Holz für ein schönes Feuer und Rafael bietet die zweite Runde Motorradtraining an. Heute düse ich damit den steilen Weg neben uns bis auf einen Bergkamm hinauf und noch viel weiter. Es macht echt Spaß! Auch Clement knattert später von dannen und man kann auch ihm den Spaß aus dem Gesicht ablesen.
Während der Fahrt nach Dali erstreckt sich der See Er Hai zu unserer Linken für die meiste Zeit der Fahrt. Wir halten in Dali Town, um etwas zu essen zu finden und um mein gegen Brenda verlorenes Kartenspiel zu begleichen. Da wir in einem Restaurant sitzen, dessen hervorragende lokale Küche Brendas Vorstellungen bzgl. des Wetteinsatzes nicht ganz entspricht, bestellt sie über eine App eine Spezialität, die sie als „stinky noodles“, also „stinkende Nudeln“ bezeichnet. Klingt vielversprechend… Ein wenig komisch kommen wir uns schon vor, als der Lieferjunge kurze Zeit später mit einer großen Portion Nudeln und weiteren Kleinigkeiten im Restaurant steht und es uns auf den Tisch stellt. Brenda zahlt noch kurz via Smartphone und schon können wir uns an diesen „Nachtisch“ machen. „Stinky“ trifft es wirklich gut, aber vielleicht hilft mir auch meine Vorliebe für extrem stinkenden Käse – die Nudeln schmecken mir! Brenda ist zwar ein bisschen enttäuscht, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass sie die Nudeln mehr für sich als für mich bestellt hat. Sie fährt jedenfalls voll drauf ab! Wir holen schnell noch Briefmarken ein und machen uns wieder auf.
Wir haben ein wenig Zeit gutzumachen, die wir am Anfang der Reise leider verloren haben. Wir finden einen abgelegenen und schwer zugängigen Panorama-Schlafplatz und (langsam wird’s zur Gewohnheit) zocken Yaniv. Das mit dem Wetteinsatz hat uns gefallen, daher müssen die heutigen Verlierer (Brenda und Rafael) sich zum Frühstück zwei besonders diabolisch aussehende Tütensuppen gönnen. Wer einmal einen erwachsenen Kerl, der aussieht wie ein Dothraki, früh am Morgen heulen sehen möchte, dem ist dieses Mittel nur zu empfehlen. Brenda ist ein alter Eisenhund und lässt sich – mal wieder – nichts anmerken.
Der Kurs für die nächsten Tage ist klar – es geht nun stets südwärts in Richtung Grenze. Einen Stop wollen wir jedoch noch in der Metropole Kunming einlegen. Hier wollen wir neben der Reparatur von Rafaels Telefon und der Besorgung einer weiteren Festplatte für Johanna auch einen Shop-Stop bei dem französischen Mega-Kaufhaus Carrefour einlegen, um endlich wieder an Brot und Käse zu kommen. Für ein Heidengeld ist das hier auch zu machen und wir freuen uns schon auf die Ferienwohnung, die wir im Süden der Stadt in einem der riesigen Hochhäuser gebucht haben. Übrigens: nachdem ich auf der ganzen Reise immer wieder nach einer mir passenden Kappe geguckt habe, wie sie eigentlich schon richtig zu mir gehört, bin ich in Kunming kurzerhand fündig geworden. Bleibt kaum zu sagen, dass es hier ebenfalls ein gewisses schwedisches Modekaufhaus mit 2 Buchstaben gibt. Nichts, worauf ich stolz sein kann, aber endlich muss ich mich nicht mehr so nackig fühlen.
Wir kommen also bei unserer Bleibe an und können Mushi als auch das Moped bewacht abstellen. Rafael kann sogar eine Garage eigens für Roller beziehen, die beschrankt und gesichert ist. Danach betreten wir den Gebäudekomplex, passieren das Sicherheitspersonal und müssen nur noch das richtige Hochhaus, Stockwerk und die eine Wohnung finden. Was für ein Wahnsinn! Hier steht etwa ein Dutzend gigantischer Hochhäuser um eine parkähnliche Anlage gestellt. Familien gehen spazieren, Lieferdienste sausen mit Essen umher, manche nutzen die öffentlichen Sportgeräte und um das grüne Zentrum herum zieht sich eine Spur extra für Jogger. Als Bewohner muss man diesen Kosmos wohl wirklich nicht verlassen. Wir finden unsere Wohnung im 16. Stockwerk und freuen uns trotz dieser anonym-sterilen Umgebung über unseren kleinen privaten Raum. Wir machen es uns gemütlich und heute Abend gibt es einen schlechten Film auf dem großen Fernseher und einen Couchtisch, gedeckt mit Brot, Käse, Butter, Gin Tonic und wieder mal von Brenda bestellten Leckereien (dieses Mal Variationen von Muscheln, ich glaube Knoblauch und Chili). Wir lassen es uns richtig gutgehen und haben einen tollen Abend!
Nach einer guten Nacht, einem kleinen Frühstück und einer heißen morgendlichen Dusche nehmen wir es mit dem letzten Stück Strecke auf uns. Es stehen noch viele Kilometer an und wir entscheiden uns mit Rafael auf die Autobahn zu wechseln. Hier darf Rafael diese wieder befahren und uns ist es die Mautgebühren wert. Es wird merklich wärmer und plötzlich beginnen Palmen und Bananenbäume das Landschaftsbild zu bestimmen. Heute Abend werden wir noch einmal draußen im Freien übernachten, bevor es weitergeht an die Grenze. Kurz zuvor haben wir von Max und Clement telefonisch erfahren, dass der Steinschlag eines vorbeifahrenden Lastwagens ihre komplette Frontschutzscheibe zertrümmert hat. China wird bei den beiden so einige Spuren hinterlassen…
Ein unwirklicher Frühnebel weckt uns in einen letzten vollen Tag in China und erhebt sich aus dem vor uns liegenden Tal, sodass wir hin und wieder von ihm eingehüllt werden, doch meist noch eine fantastische Aussicht auf die aufgehende Sonne haben. Es wird deutlich wärmer und heute bekommen wir die ersten Bananenstauden zu sehen. Für uns Europäer ein erstaunlicher Anblick, Brenda muss nur über uns schmunzeln, so wie sie es sicherlich etliche Male zuvor auch bei anderen Reisenden gemacht hat. Als wir ihr verklickern, dass wir in Deutschland noch nicht einmal Reisanbau haben, ist sie allerdings überrascht und fragt, was wir denn sonst so haben?! Tja, Brenda, du bist herzlich eingeladen dir mal von uns unsere Heimat zeigen zu lassen!
Heute erreichen wir Mohan, den letzten Halt in China. Morgen wird es hier über die Grenze nach Laos gehen, doch darüber wollen wir noch gar nicht viel nachdenken. Wir fahren ein Hotel an, in dem Brenda ein Zimmer nimmt. Johanna und ich dürfen in Mushi auf dem Parkplatz übernachten, doch Zelte sind hier nicht erwünscht. So schläft Rafael auf der Couch in Brendas Zimmer und die Franzosen sneaken sich mit ihrem Zelt in die Fahrradgarage. Wir kaufen eine Kiste Bier und auf dem Parkplatz kloppen erstmal wieder Karten, um daraus auf den Nightmarket zu gehen, um zu Abend zu essen. Brenda führt uns zu einem Grill, bei welchem wir uns allerhand aus der Auslage aussuchen können, damit uns das kurze Zeit später köstlich mariniert, gegrillt und sonstig zubereitet an die Plastiktische gebracht werden, welche zusammen mit den passenden Stühlen wie aus dem Kinderparadies entwendet zu sein scheinen. Wir sind im Fluss und spielen weiterhin Karten, immer interessiert beobachtet von Passanten. Wie gesagt, die Chinesen lieben das „Gamblen“, wenn es auch verboten ist. Nach dem tollen Essen gehen wir zurück zum Hotel und allesamt in Brendas Zimmer. Dort führen wir in das Kartenspiel Yaniv ein Rotationsprinzip ein, damit Nach- bzw. Vorteile durch evtl. hinterhältige Sitznachbarn ausgeglichen werden, und haben einen lebhaften und lustigen Abend, dessen Ende Rafael gar nicht mehr ganz mitbekommt: er hat die Couch schon frühzeitig in seine Arme geschlossen.
Letzter Morgen China: was für ein Reise doch hinter uns liegt! Man kann die Vielzahl der Facetten gar nicht beschreiben… Wir sind alle etwas stumm uns packen unsere Dinge zusammen. Dann geht es in Richtung Grenzkontrolle. Wir wollen alle den Moment des Abschieds von Brenda noch möglichst weit hinausschieben und fürchten, dass es zu plötzlich kommt. Jetzt müssen Fahrer und Beifahrer auch noch getrennt werden und unterschiedliche Verfahren durchlaufen… Johanna und Max müssen sich als Erste von Brenda verabschieden. Johanna kann mir nur später berichten, dass ein paar Tränen flossen. Brenda kommt daraufhin zusammen mit den Fahrzeugen zum Zoll, schmiert nach einigem Warten einen Wärter, damit dieser uns an den etlichen LKW nach ganz vorne durchlässt (Danke Brenda!), und schon ist es auch für uns soweit, uns von unserem lieblichen Guide zu verabschieden. Allen stehen die Tränen in den Augen. Ich glaube, in unserer taffen, gewitzten und lieben Brenda haben wir echt eine richtige Freundin gefunden. Diese Reise werden wir nie vergessen!
Es geht langsam voran durch zwei weitere Kontrollen, ehe wir wieder mit Johanna und Max vereint sind. Plötzlich spuckt uns das Reich der Mitte also aus. Vor uns: das imposante Einfahrtstor in ein neues Land. Wir fahren nach Laos!
Liebe Johanna, lieber Malte, ich wünsche Euch eine möglichst schnelle und gute Heimkehr nach Flensburg. Wir denken an Euch, haltet durch und bleibt gesund! Liebe Grüße aus dem sonnigen Ratzeburg von Astrid